Bücher Totholzkäfer
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Köhler, F. (2000c): Totholzkäfer in Naturwaldzellen des nördlichen Rheinlandes. Vergleichende Studien zur Totholzkäferfauna Deutschlands und deutschen Naturwaldforschung. Naturwaldzellen Teil VII. - Schrr. LÖBF/LAfAO NRW (Recklinghausen) 18, 1-351.

Zusammenfassung 

In der vorliegenden Arbeit werden die Ergebnisse der Bestandserfassungen von 1986 bis 1996 zur Totholzkäferfauna von 10 Naturwaldzellen im nördlichen Rheinland (Nordrhein-Westfalen, Deutschland) vorgestellt und mit anderen deutschen Reservaten verglichen. Vorangestellt wird eine Beschreibung und Analyse der gesamten deutschen Totholzkäferfauna, die als Meßlatte für diese und zukünftige Forschungen dienen kann. 

Totholzkäfer werden als solche xylophagen Arten definiert, die in ihrer Reproduktion obligatorisch auf verholzte Sproßteile von Bäumen und Sträuchern angewiesen sind. Ebenfalls als Totholzkäfer werden solche (nicht xylophagen) Arten bezeichnet, die in ihrer Reproduktion obligatorisch an verletzte, absterbende oder tote verholzte Sproßteile von Bäumen und Sträuchern oder hieran lebenden Organismen gebunden sind. 

Für Deutschland wurden insgesamt 1.371 xylobionte Käferarten identifiziert und in einer Datenbank und einem Anhang mit folgenden Variablen und Codierungen erfaßt: Habitatpräferenz (Holz, Rinde Mulm und Tiernester, Holzpilze, Saftflüsse), Biotoppräferenz (Wald, sonnige Gehölze), Bindung an Laub- oder Nadelholz, Ernährungsweise, Körpergröße, Verbreitungstyp, Verbreitung in Deutschland, Gefährdung sowie Kennzeichnung von Blütenbesuchern, Frischholzbesiedlern und speziellen Wirtspflanzenbindungen. 

Diese Variablen werden in vielfältigen Kombinationen zur Beschreibung und Analyse der deutschen Totholzkäferfauna eingesetzt. Nachfolgend einige der wichtigsten Zahlen und Ergebnisse, die im Grundlagenkapitel ausgiebig erörtert werden: 

  • Von Süden nach Norden nimmt die Artenzahl um rund 60% ab. 
  • Nur 13% der Arten sind an eine einzelne Gehölzgattung gebunden. 
  • Zwei Drittel der Arten sind an Laubhölzer, ein Fünftel an Nadelhölzer gebunden. 
  • Totholzkäfer sind Milieuspezialisten: 468 leben lignicol, 401 corticol, 241 xylodetriticol, 29 nidicol, 151 polyporicol und 12 succicol. 
  • 32% der Arten leben in offenen, sonnigen Gehölzbiotopen. 
  • Neben den weit verbreiteten Arten dominieren mitteleuropäisch-montane, südeuropäisch-mediterrane und nordeuropäisch-sibirische Faunenelemente. 
  • 54 Arten sind ausgestorben, 211 vom Aussterben bedroht, 272 stark gefährdet und 274 gefährdet, wobei xylodetriticole Arten, aber auch einstrahlen Faunenelemente dominieren. 
Von 1986 bis 1996 wurden in 10 Naturwaldzellen des nördlichen Rheinlandes mit verschiedenen Fallentechniken (Flugfallen, Leimringe u.a.) und manuellen Aufsammlungen (Klopfproben, Gesiebe u.a.) einjährige Bestandserfassungen zur Totholzkäferfauna durchgeführt. Die Untersuchungsgebiete werden ausführlich beschrieben (Lage, Vegetation, Klima, Waldgeschichte u.a.) und fotografisch dargestellt. 

In einzelnen Kapiteln zu jedem Untersuchungsgebiet werden Totholzsituation und Untersuchungsdesign erörtert. Ein ökologisch differenziertes Artenverzeichnis sowie ökologische und faunistische Anmerkungen, jeweils zu Holz-, Rinden-, Mulm- und Pilzkäfern, folgen. Zahlreiche Erst- und Wiederfunde für das Land oder einen Naturraum wurden registriert. Den Abschluß bildet jeweils eine abschließende Bewertung der Naturwaldzelle. 

In den 10 Naturwaldzellen wurden insgesamt 172.321 Käfer in 1.551 Arten nachgewiesen, von denen 492 xylobiont leben, zwischen 143 und 264 Arten je Untersuchungsgebiet. Die Naturwaldzellen werden hinsichtlich der Artenzahlen, ökologischer, biogeographischer und faunistischer Parameter der nachgewiesenen Spezies sowie der Beziehung zur bekannten Fauna des Landes verglichen. Danach zeigt sich, daß lignicole, thermophile und nadelholzgebundene und gefährdete Arten unterrepräsentiert sind. 

Die Artenzahl und -zusammensetzung ist statistisch signifikant von der geographischen und topographischen Lage, aber auch der Naturnähe der Fläche, gemessen an Bewirtschaftungsgeschichte und verschiedenen Strukturmerkmalen, abhängig. Die Zahl der Pilzkäferarten korreliert allein mit der Zahl der vorkommenden Holzpilzarten. Die Diversität in naturnahen Flächen wird durch eine stark unausgeglichene Individuenverteilung gekennzeichnet, was auf das Vorkommen zahlreicher kleiner Populationen seltener und gefährdeter Arten zurückgeführt werden kann. 

Zu einer vergleichenden Auswertung der Ergebnisse der deutschen Naturwaldforschung der letzten Jahre wurden die Käferartenlisten zu 45 Naturwaldreservaten und 84 weiteren Untersuchungsgebieten herangezogen. Anhand einer Datenbank mit 45.854 Datensätzen zu 3.183 Käferarten, darunter 1.025 xylobionten Spezialisten, konnten so weitere Vergleiche vorgenommen werden. Der aktuelle Forschungsstand in den einzelnen Bundesländern wird detailliert erörtert. Die Artenzahlen aller Untersuchungsgebiete werden ökologisch differenziert in einer Tabelle wiedergegeben. 

In den deutschen Naturwaldreservaten wurden bislang 828 xylobionte Käferarten festgestellt, wobei sich die Artenzahlen einzelner Reservate aufgrund der Methodik und Untersuchungsintensität unterscheiden. Ebenso können wiederum Besiedlungsdifferenzen anhand der Höhenlage, vor allem aber aufgrund der Waldgeschichte und Totholztradition erklärt werden. In der koleopterologisch bedeutensten Fläche, dem "Urwald von Taben", wurden 1.149 Käferarten registriert. Unter den 449 Xylobionten waren 153 gefährdete und 65 für dieses Reservat exklusive Arten zu verzeichnen. Es wird festgestellt, daß sich die Fauna des geschlossenen Waldes deutlich von derjenigen verschiedener Kulturbiotope unterscheidet. Desweiteren weisen Naturwaldreservate durchschnittlich mehr Totholzkäferarten als die zu Vergleichszwecken untersuchten Wirtschaftswälder auf. 

Im abschließenden Kapitel werden Aspekte der Faunenveränderung und methodische Probleme der Naturwaldforschung diskutiert. Am Beispiel des nördlichen Rheinlandes wird die Artenzunahme aufgrund stetiger Zuwanderung (etwa 50%) und fortschreitender Erforschung quantitativ dargestellt. Neuentdeckt - über 161 Arten in den letzten 50 Jahren - wurden vor allem Arten fremder Faunenregionen, gefährdete und kleine Arten. Anhand von Beispielen wird gezeigt, daß sich Arten in zehn Jahren über hunderte Kilometer ausbreiten können und damit fehlende Lebensräume das entscheidende Ausbreitungshemmnis für in isolierten Reliktpopulationen lebende Arten sind. 

Eine Analyse der Lebensweise und Biogeografie der ausgestorbenen Arten zeigt, daß für das Erlöschen ihrer Populationen weniger forstliche Eingriffe als natürliche Arealverschiebungen ursächlich sind. Dagegen konzentrieren sich die Vorkommen rezent vom Aussterben bedrohter Arten auf isolierte alte Waldstandorte, so daß die Waldwirtschaft hier sehrwohl eine Schutzverantwortung besitzt. 

Eine Besonderheit unter den Immigranten im nördlichen Rheinland stellen die zahlreichen Nadelholzbewohner dar. In ihrem Fall wird nachgewiesen, daß es sich überwiegend um weit verbreitete, ungefährdete und ökologisch auf häufige Lebensräume spezialisierte Arten handelt, die keine Rolle in lokalen Schutzkonzepten zur Totholzkäferfauna spielen sollten, da praktisch kein Zusammenhang zur Nadelholzkäferfauna der süddeutschen Gebirge besteht. 

Verschiedene Erfassungsmethoden und Hypothesen zur Totholzkäferfauna der Baumkronen werden vorgestellt und in ihrer Relevanz zur Naturwaldforschung diskutiert. An Artenzahlen-Beispielen aus dem Hienheimer Forst bei Kehlheim/Bayern werden Unterschiede zwischen bodennaher und Kronenfauna aufgezeigt. Während die polyporicole Fauna im Kronenraum nahezu ausfällt, bestehen bei lignicolen Arten nur geringe quantitative Unterschiede, wobei allein sonnenliebende Arten im Kronenraum häufiger als in Bodennähe anzutreffen sind. Weitere grundlegende Forschungsprojekte zur Zusammensetzung und Bedeutung der xylobionten Baumkronenfauna werden angeregt. 

Abschließend wird im Zusammenhang mit dem Aspekt der Totholztradition empfohlen, mögliche Reliktstandorte gefährdeter Totholzkäfer zu kartieren. Anmerkungen zur Totholzmenge in Wäldern, fehlenden Totholzqualitäten in Wirtschaftswäldern und zum Erweiterungsbedarf des Naturwaldzellenprogramms beschließen die Ausführungen.

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