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Köhler, F (1996a): Käferfauna in Naturwaldzellen und Wirtschaftswald. Vergleichende Untersuchungen im Waldreservat Kermeter in der Nordeifel. Naturwaldzellen Teil VI. - Schriftenreihe LÖBF/LAfAO NRW (Recklinghausen) 6, 1-283.

Zusammenfassung

In den Jahren 1992 und 1993 erfolgte im nordrhein-westfälischen Waldnaturschutzgebiet "Kermeter" eine vergleichende Bestandserfassung der Käferfauna in den Naturwaldzellen "Schäferheld" und "Wiegelskammer" sowie den Wirtschaftswaldflächen "Lohrbachskopf" und "Am Steinbach". Im "Kermeter", einem etwa 10 km langen und bis zu 5 km breiten Gebirgsrücken zwischen 220 bis zu 526 m über NN, finden sich auf einer Fläche von 3.152 ha die größten geschlossenen Laubwaldgebiete der Nordeifel. Die Untersuchungen wurden mit einem umfangreichen Methodenspektrum aus Fallentechniken und manuellen Aufsammlungen durchgeführt. 

Auf den vier Vergleichsflächen konnten insgesamt 1.218 Käferarten festgestellt werden. Einschließlich bisheriger Untersuchungen wurden damit im "Kermeter" bis heute 1.331 Käferarten nachgewiesen, die in einer systematischen Artenliste wiedergegeben werden. Auf den Einzelflächen wurden zwischen 695 und 804 Spezies registriert, wobei die Werte in den Naturwaldzellen im Durchschnitt 9,4% höher lagen als auf den Wirtschaftswaldflächen. Im Vergleich mit anderen Lokalfaunen des Rheinlandes präsentieren sich die Hochlagen der Eifel relativ artenärmer, im Vergleich mit anderen deutschen Naturwaldreservaten zeigen die Naturwaldzellen des "Kermeter" aufgrund der Untersuchungsintensität die bislang höchsten festgestellten Artenzahlen. 

In einer synökologischen Analyse werden die Artengilden bodenbewohnender Käfer einschließlich spezieller Mikrohabitate sowie pflanzen- und totholzbewohnender Käfer des Kermeters beschrieben und Beispiele für tatsächliche Vergesellschaftungen gegeben. Hierauf basierend werden Vergleiche zwischen unbewirtschafteten Naturwaldzellen und Wirtschaftswaldflächen angestellt, wobei die Ergebnisse diskutiert und gegebenenfalls Entwicklungsprognosen abgegeben werden. Daß gravierende Unterschiede in der Käferbesiedelung schon heute konstatierbar sind, konnte angesichts der vergleichsweise kurzen Phase der Etablierung der Naturwaldzellen nicht erwartet werden. Dennoch fanden sich Differenzen und Tendenzen, von denen die wichtigsten nachfolgend zusammengestellt werden. 

Hinsichtlich der Artenzusammensetzung der Käferfauna der Waldbodenstreu lassen sich praktisch keine qualitativen Unterschiede feststellen. Dagegen zeigt sich bei quantitativer Betrachtung eine von der Streustärke unabhängige höhere Individuendichte in den Naturwaldzellen, die auf stärkere Beschattung, geringere Austrocknung und stärkere Verpilzung zurückgeführt wird. Mit zunehmendem Baumalter steigt zudem die Habitatvielfalt an der Stammbasis der Buchen und damit die Artenzahl auf Stammnähe spezialisierter Käferarten. 

Die epigäische Fauna der Sonderstandorte, Feuchtbiotope und Offenlandbereiche, zeigt eine heterogene Artenzusammensetzung, die vom Flächenstatus unberührt bleibt. Gleiche Verhältnisse zeigen sich bei einer Betrachtung von Sonderstrukturen. Unterschiede ergeben sich aufgrund der Flächenausstattung mit speziellen Mikrohabitaten, wie Faulstoffen (Aas, Kot, Vegetabilien) oder Pilzen. Eine Ausnahme bilden die Bewohner von Tiernestern, für die in den Naturwaldzellen ein um 70% höheres Arteninventar registriert werden konnte. Aus einem höheren Bestandesalter resultiert eine Steigerung der Habitatdiversität und der Nistmöglichkeiten für Kleinsäuger und Vögel. 

Für die pflanzenbewohnenden Käfer ergibt sich eine Korrelation zwischen Pflanzenarten- und Käferartenzahl der Vergleichsflächen. Fast 90% der 195 nachgewiesenen Pflanzenarten präferiert anthropogen geprägte Biotope wie Wegränder, Wiesen oder Kahlschläge, während geschlossene naturwaldähnliche Buchenbestände demzufolge artenarm mit phytophagen Käferarten ausgestattet sind. Die menschliche Wirtschaftstätigkeit führt über die vielfältige Auflichtung der Waldbestände zu einer Steigerung der Habitat- und Artenvielfalt, die entsprechenden Artengemeinschaften repräsentieren über weite Strecken die Fauna mittelgebirgstypischer Offenlandstandorte, wobei seltene oder gefährdete Phytophage nur in Ausnahmefällen auftreten. Unterschiede zwischen Wirtschaftswald und Naturwaldzellen des Kermeters konnten nicht beobachtet werden, da auch die Naturwaldzellen starken anthropogenen Randeinflüssen ausgesetzt sind. 

Bei den Totholzkäfern zeigte sich, unabhängig von den besiedelten Totholzstrukturen, ein deutlicher Zusammenhang zwischen Qualität und Quantität des Habitatangebotes sowie Arten- und Individuenzahlen. Grundsätzlich konnte aber festgestellt werden, daß die Naturwaldzellen einen bedeutenden Beitrag zum Schutz und zur Förderung der Totholzkäferfauna leisten. Hinsichtlich der Artenspektren ergeben sich im Kermeter heute, je nach betrachteter Totholzstruktur, unterschiedliche Tendenzen: 

Die zumeist xylophagen Holzkäfer (lignicole Arten) sind in den Naturwaldzellen artenärmer vertreten, wobei - bei relativ gleicher Artengrundausstattung - in den aufgelichteten Wirtschaftswaldflächen offene Waldstrukturen präferierende, thermophile Holzkäfer hinzutreten. Darüberhinaus bieten die Wirtschaftswaldflächen blütenbesuchenden Holzkäfern ein reicheres Lebensraumangebot. Mit einer stärkeren Auflichtung der Naturwaldzellen in der Zerfallsphase der Buchenbestände ist mit einer Angleichung der Artenbestände zu rechnen. Da im Mittelgebirge aufgrund ungünstigerer klimatischer Vorraussetzungen nur mit einem eingeschränkten Artenspektrum an Holzkäfern zu rechnen ist, können die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden. 

Bei den Rindenkäfern werden die höchsten Ähnlichkeitswerte bei einem Vergleich der vier Untersuchungsflächen festgestellt, was auf ein umfangreiches Habitatangebot auf allen Flächen sowie einer geringen Abhängigkeit von der Totholzdimension zurückgeführt werden kann. Differenzen im Arten- und Individuenbestand gehen auf obligatorische Fichtenbewohner zurück, da auf beiden Wirtschaftswaldflächen deutlich größere Fichtenbestände und Populationen von abhängigen Rindenkäfern vorkommen. Langfristig ist dort bei Umsetzung der Waldpflegepläne eine Annäherung an die Verhältnisse in den Naturwaldzellen zu erwarten. 

Mulmkäfern als Charakterarten der Zerfallsphase des Naturwaldes kommt eine besondere Bedeutung bei der Beurteilung des Zustandes von Wäldern zu. Aufgrund der vergleichsweise kurzen Naturwaldzellentradition lassen sich heute noch keine durchgängigen Unterschiede zum Wirtschaftswald erkennen. Augenfällige Differenzen ergeben sich zwischen der intensiv durchforsteten Fläche "Lohrbachskopf" zu allen anderen Flächen. Eine Bedeutung morscher Nadelhölzer zum Schutz und zur Förderung der Mulmkäferfauna unserer Region ist im Gegensatz zur Buche nicht erkennbar. 

Totholzangebot, Pilzvorkommen und Holzpilzkäferarten- und individuenzahl sind korreliert. In den totholzreicheren Naturwaldzellen wurden dementsprechend mehr Arten und deutlich mehr Exemplare nachgewiesen. Wie die Mulmkäfer zählen auch die Holzpilzkäfer zu den Spezialisten an starkdimensionierten Alt- und Tothölzern. Zukünftig ist bei beiden Gruppen mit deutlichen Unterschieden in Abhängigkeit von der Bewirtschaftungsform zu rechnen. 

Auch aus faunistischer Sicht zeigt sich der Kermeter mit einem Anteil von fast 40% seltenen oder sehr seltenen Käferarten ausgesprochen artenreich. Nahezu 100 Neu- und Wiederfunde sind für die gut erforschte Käferfauna der Eifel zu verzeichnen. Sieben Arten wurden erstmalig im Rheinland entdeckt, für vier weitere fehlten seit über 50 Jahren Nachweise. Von diesen Erst- und Wiederfunden können zugleich sieben Arten als Erstnachweise für Nordrhein-Westfalen eingestuft werden. Aus ökologischem Blickwinkel ergibt sich für die Totholzkäfer mit fast 60% der höchste Anteil seltener Arten. Unter Einbeziehung des Flächenstatus zeigen sich für die Naturwaldzellen geringe, aber durchgängig bei allen Habitatpräferenzen, höhere Anteile seltener Käferarten. Faunistisch besonders bedeutsame Artnachweise werden eingehend erörtert. 

In einer abschließenden Methodendiskussion werden die methodenspezifischen Ergebnisse und Erfahrungen zu den angewandten Fallentechniken (Bodenfallen, Stammeklektoren, Fensterfallen, Flug- und Bodenköderfallen, Leimringe) und manuellen Aufsammlungen (Quadratproben, Bodengesiebeproben, Kescherfänge, Klopfschirmfänge in der Vegetation und an Totholz, Totholzgesiebe, Handfänge) ausführlich dargestellt. 

Grundsätzlich wird für faunistisch-ökologische Bestandsaufnahmen empfohlen, neben Fallenfängen auch manuelle Methoden einzusetzen. Da insbesondere hochspezialisierte Arten oft nur zufällig in Fallen gefangen werden, besteht bei einer Konzentration auf derartige Fänge die Gefahr einer Homogenisierung der Ergebnisse und Verwischung der Unterschiede zwischen Vergleichsflächen und Zeitreihen. Den großen Artenzahlen, der Seltenheit vieler stenotoper Käfer und der Schwankung der Populationsgrößen vieler Insekten trägt nur ein wenigstens zweijähriger Erfassungszeitraum Rechnung. 

Basierend auf einer ökologischen Effizienzbeurteilung werden Methodenkombinationen und Konzeptvarianten zur Erfassung der boden-, pflanzen-, totholz- und faulstoffbewohnenden Käferfauna in Wäldern vorgeschlagen. Zur Untersuchung von Totholzkäferfaunen werden als zentrale Methoden Fensterfallen, Totholzgesiebe sowie Leimringe als kostengünstiges Substitut für Stammeklektoren empfohlen. Bei alleiniger Durchführung von Totholzkäferprogrammen können Flugköderfallen sowie Klopfproben und Handaufsammlungen an Totholz und in der Vegetation eine wertvolle Ergänzung darstellen. 

Für eine Bearbeitung der planticolen Fauna in Naturwaldreservaten wird eine Konzentration auf manuelle Kescher- und Klopfschirmfänge befürwortet. Trotz einem Verzicht auf Fallenfänge mit Stammeklektoren wären im Kermeter 97 % aller pflanzenbewohnenden Käfer gefangen worden. Die Untersuchung der epigäischen Käferfauna kann bei quantitativen Aufnahmen im Interstammbereich mit Bodenfallen und Quadratproben vorgenommen werden. Für eine qualitative faunistische Erfassung sollten Bodenstreu- und Mikrohabitatgesiebe, sowie Bodenfallen auch an Sonderstandorten eingesetzt werden. Wo extreme Sonderstandorte nicht mit Bodenfallen und Bodenstreugesieben abgedeckt werden können, sollten Handfänge erfolgen. Bei der Dokumentierung der in Wäldern besonders artenreichen Faulstoffkäferfauna ist die Anwendung von Köderfallen, Mikrohabitatgesieben und Handfängen erfolgversprechend. 

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